Wie kann Nachbarschaft mehr sein als eine Aneinanderreihung von Wohnungen? Wie entsteht ein Miteinander – zwischen Alt und Jung, Neuankömmlingen und Alteingesessenen? Und wie können Initiativen aus der Zivilgesellschaft dazu beitragen?

Fotos: Barbara Zesiger

Am Donnerstagabend, 12. Juni 2025 hatte die Bibliothek Ostermundigen zur Veranstaltung «Lebendige Nachbarschaften» eingeladen. Im Zentrum stand das neue Buch «Community-Branding» des Ostermundigers Manuel Bürli. Das Buch ist eine Mischung aus Spaziergang, Praxisleitfaden und Gesellschaftsutopie. Es zeigt, wie Menschen in Bern gemeinschaftsgetragene Initiativen starten – sei es durch Coworking Spaces, gemeinschaftlich entwickelte Wohnformen, Gastronomie und Nachbarschaftsinitiativen.

Bereits beim Apéro vor Veranstaltungsbeginn war das Interesse spürbar: Die Bibliothek füllte sich mit Gästen, es wurde gelacht und neugierig diskutiert. Die Gastgeberin Simone Gloor (Bibliothek Ostermundigen) begrüsste das Publikum herzlich und leitete in den Abend ein – mit der Einladung, sich aktiv zu beteiligen.

In seiner Lesung nahm Autor Manuel Bürli das Publikum mit auf eine Reise. Er startete mit dem Zitat von Dieter Schnell, Architekturhistoriker: «Man lebt nebeneinander, aber nahe ist man sich nicht.» Er erzählte, wie er mit seiner Familie vor drei Jahren nach Ostermundigen gezogen war – in ein schönes Quartier, mit guten Verkehrsverbindungen und viel Potenzial. «Aber es war still. Ich begegnete kaum jemandem. Ein Grüezi, ein kurzes Nicken – das war’s.»

Ausgangspunkt seines Buches war die Suche nach Beispielen, die zeigen, dass es auch ganz anders geht – dort, wo Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv werden und etwas auf die Beine stellen. Eine dieser Geschichten porträtiert die Bottom-up-Initiative Urbane Dörfer, die gemeinschaftlich getragene Wohn- und Lebensorte entwickelt, in denen Arbeiten, Wohnen und Nachbarschaft auf neue Weise zusammenfinden.

Solche und weitere Beispiele machen deutlich: Gemeinschaft muss nicht perfekt sein, aber sie will gestaltet werden. Menschen kommen zusammen, teilen Räume, Ideen und Verantwortung – und schaffen Orte, die weit über eine funktionale Zweckgemeinschaft hinausgehen.

ostermundigen-foto-barbara-zesiger_01_

Zwischen Utopie und Alltag

An die Lesung schloss sich eine lebendige Diskussionsrunde an. Auf dem Podium sassen neben dem Autor drei Frauen, die auf ganz unterschiedliche Weise Gemeinschaft gestalten:

  • Andrea Burkhalter, Mitgründerin von Urbane Dörfer, berichtete, wie sie selbst aus dem Wunsch nach mehr Gestaltungsspielraum im Wohnumfeld aktiv wurde. Sie verfolgen die Vision von «urbanen Dörfern»: Lebensorte, in denen Wohnen, Arbeiten und soziale Beziehungen Hand in Hand gehen – mit Coworking, Werkstätten, Gärten und Kulturangeboten. Zwei Projekte sind aktuell in Umsetzung – eines in Gümligen, das andere in Zollikofen. Der Weg dorthin? «Ein langer Atem. Zehn Jahre muss man schon rechnen, aber es lohnt sich.»
  • Anina Rüdisühli, Vertreterin der Fachstelle Quartierarbeit, brachte die Perspektive der Gemeinwesenarbeit ein. Sie betonte, wie wichtig es sei, bereits bestehende Initiativen zu vernetzen – und dafür zu sorgen, dass auch leise Stimmen gehört werden: «Nicht jede gute Idee braucht ein grosses Budget. Aber sie braucht Menschen, die hinhören und Räume schaffen.»
  • Kathrin Gür, engagiert in der Freiwilligenarbeit, erzählte, wie sie nach ihrer Pensionierung auf der Suche nach Sinn und Kontakt war – und heute regelmässig Treffen organisiert, bei denen es Suppe, Gespräche und neue Verbindungen gibt. «Ich wollte etwas tun, das Freude macht – mir und anderen. Manchmal braucht es nur einen Topf Suppe, um zehn Menschen zusammenzubringen.»

Das Publikum beteiligte sich: In kleinen Beiträgen wurde von Erfahrungen im eigenen Quartier berichtet, von Sitzgelegenheiten im Wald, von der Schwierigkeit, Menschen zusammenzubringen, wenn Zeit und Energie knapp sind. Die Diskutierenden waren sich einig: Gemeinschaft ist immer freiwillig – und lebt davon, dass auch Zweifel und Konflikte Platz haben.

Von Architektur bis Politik

Die Diskussion kreiste um zentrale Fragen des Zusammenlebens: Welche Rolle spielt Architektur? Wo finden heute Begegnungen statt – und wo könnten neue Dritte Orte entstehen?
Wie kann Kommunikation in einer Nachbarschaft gefördert werden, auch jenseits digitaler Kanäle? Und welche Rolle spielt die Politik – oder auch der persönliche Mut, selbst etwas anzustossen?

Zum Abschluss fragte Simone Gloor: «Was kann jede und jeder von uns ganz konkret tun, um die eigene Nachbarschaft ein Stück lebendiger zu machen – schon morgen?» Die Antworten waren vielfältig:

  • «Ein Gespräch beginnen.»
  • «Etwas Selbstgemachtes verschenken.»
  • «Eine Einladung aussprechen.»
  • «Ein Sommerfest starten, ohne viel zu organisieren.»

Nach dem offiziellen Teil verweilten viele Gäste beim Apéro. Es wurde gelacht, weiterdiskutiert und Kontakte geknüpft. Der Abend hat gezeigt: Gemeinschaft beginnt im Kleinen. Und sie braucht Menschen, die sich trauen, einen Anfang zu machen. Vielleicht war dieser Abend für einige ein solcher Anfang.