Was passiert, wenn Menschen freiwillig Geld teilen? Diese Frage stellten sich die Gründer:innen von Ting, als sie in einem Bauernhaus in Sumiswald ihre Vision entwickelten. Heute ist daraus eine wachsende Community entstanden, die ihren Mitgliedern ermöglicht, finanzielle Unterstützung zu erhalten – und damit Zeit, um an ihren Ideen zu arbeiten. Erfahre, wie Ting entstanden ist, welche Herausforderungen es gab und warum dieses Experiment das Potenzial hat, unser Verständnis von Wirtschaft und Gemeinschaft neu zu denken.

Die Frühphase – Ein Experiment wird Realität

Die Ting-Community entstand aus einer einfachen, aber faszinierenden Frage: «Was passiert, wenn Menschen einen finanziellen Freiraum erhalten?» Inspiriert von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens und dem Think Tank «Dezentrum» kamen David, Flurin, Malik, Ondine, Ralph und Silvan in einem Bauernhaus in Sumiswald zusammen. Sie tüftelten an einer zivilgesellschaftlichen Lösung, die Menschen nicht nur absichert, sondern ihnen auch die Möglichkeit gibt, ihren eigenen Träumen nachzugehen. Denn oft hält uns der Alltag mit Arbeit und Familie davon ab, das zu tun, was uns wirklich erfüllt.

Ting startete so, wie es viele Communities tun – im Selbstexperiment. Die Gründer:innen testeten ihr Modell in kleinem Rahmen: Sie zahlten selbst solidarisch in einen gemeinsamen Topf ein, entwickelten Prototypen, legten Kommunikationskanäle fest und feierten ihre ersten kleinen Erfolge. Die grösste Herausforderung? Einen Weg zu finden, der nicht nur finanziell tragfähig ist, sondern auch das Vertrauen der Menschen gewinnt.

Durch die Unterstützung des Migros Pionierfonds gewann Ting den nötigen Rückenwind. Doch der Aufbau war nicht einfach: Neugeborene Kinder, Ausbildung, unklare Wohnsituationen und Erschöpfung begleiteten die Gründer:innen in dieser Phase. Trotzdem nahm die Ting Community langsam Form an. Auf einer Online-Plattform schufen sie eine Möglichkeit, dass Mitglieder mit monatlichen Beiträgen einen gemeinsamen Geldtopf füllen, aus dem wiederum Vorhaben der Mitglieder finanziert wurden – bis zu sechs Monate lang.

Ting Gründungsteam

Gründungsteam (von links nach rechts): Ruben Feurer, Flurin Hess, Pascal Jäger (vorne), Ralph Moser, Ondine Riesen, Vinzenz Leutenegger (vorne), Silvan Groher, Bennedikt Schuppli, Malik El Bay (vorne) und David Simon, Katrin Niederhäusern (nicht sichbar, da hinter der Kamera).

Die Herausforderung – Geld annehmen

Während das Geben einfacher war als gedacht, zeigte sich die wahre Herausforderung im Nehmen. Von einer Community Geld zu erhalten, war für viele Mitglieder ungewohnt. Doch genau hier wollte Ting ansetzen: Geld nicht als reine Transaktion, sondern als gemeinschaftliches Werkzeug zu verstehen. Also wurde ein System entwickelt, bei dem Anträge anonym eingereicht und von der Community gemeinsam mit einer externen, unabhängigen Person bewertet wurden.

Und es funktionierte: Die ersten Mitglieder stellten Anträge – sei es, um eine Food Cooperation aufzubauen, ein Buch zu schreiben oder ihr Leben grundlegend umzugestalten. Florian konnte sich dank der Unterstützung voll und ganz auf seine nachhaltige Ernährungsinitiative konzentrieren, Marah verwirklichte ihre Selbständigkeit als Moderatorin, Journalistin und Inklusions Aktivistin und Sarah fand die finanzielle Sicherheit, um eine neue Richtung einzuschlagen.

Im Garten findet Rebecca Ausgleich von ihren Engagements

Ting-Story: Im Garten findet Rebecca Ausgleich von ihren Engagements. Sie hat das Community-Geld genutzt, um ihre Talkshow «Voll auf die 12» zu entwickeln.

Ständiges Experimentieren und Wachsen

Doch Ting erkannte bald: Es reicht nicht, einfach Geld zu verteilen. Menschen brauchen auch Begleitung, Austausch und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Die Community ist mehr als ein finanzieller Unterstützungsfonds – sie ist ein Netzwerk aus Wissen, Erfahrung und Inspiration. Unter den Mitgliedern gibt es Akademiker:innen, Sozialarbeiter:innen, Architekt:innen, Permakultur-Profis, Filmemacher:innen und viele mehr.

Da die Community über die gesamte Schweiz verteilt ist, experimentiert Ting immer wieder mit Veranstaltungsformaten. Digitale Events wie die «Ting-Kafis» boten Raum für Impulse – zum Beispiel zur Kraft von Pausen oder neuen Arbeitsmodellen. Bei den «Ting-Stories» erzählen Mitglieder, wie die Unterstützung ihr Leben verändert hat. Ondine, eine der Mitgründer:innen, legte besonderen Wert darauf, die Menschen auch physisch zusammenzubringen. Doch schnell wurde klar: Meist nahmen nur Mitglieder aus der Nähe teil. Ein Hybrid-Event sollte die Distanz überbrücken, doch die Mischung funktionierte nicht. Kurzerhand warfen Silvan und Ondine das Programm um und baten alle Teilnehmenden, sich reihum mit ihren Wünschen vorzustellen. Was als spontane Notlösung begann, führte zu neuen Freundschaften und einer noch engeren Verbindung innerhalb der Community.

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Ting-Story: Mike hat das Community-Geld genutzt, um einen Ernährungs-Tracker für das Gesundheitswesen zu entwickeln.

Eine gedeihende Community

Heute zählt die Ting Community 650 Mitglieder. Jeden Monat werden rund CHF 40’000 umverteilt – von Menschen, die geben, an Menschen, die gerade Unterstützung brauchen. Insgesamt sind bereits über 100 Projekte finanziert worden und mehr als 1,1 Millionen CHF in die Umsetzung von Ideen geflossen.

Ting bleibt ein lebendiges Experiment, das stetig wächst. Es zeigt, dass freiwillige Umverteilung funktionieren kann, wenn sie auf Vertrauen und Gemeinschaft basiert. Es ist eine Einladung an uns alle, Wirtschaft neu zu denken – nicht als rein individuelle Leistung, sondern als kollektives Miteinander, das neue Wege eröffnet.

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Fotos: © Ting